Seit dem Anstieg des motorisierten Straßenverkehr in den 1950er Jahren wird in der Jockgrimer Gemeindepolitik das Hinterstädtel mit Verkehrsproblemen verbunden. Im Heimatbrief 1965 heißt es wehmütig: „Eine Sehenswürdigkeit waren die beiden nachgebildeten Stadttore an der Schloßbrücke und am Torberg. Leider mussten sie nachher wieder allzu schnell entfernt werden und dem Straßenverkehr Platz machen.“
In den 1960er Jahren lösten viele Jockgrimer ihre Probleme mit der Ludwigstraße wie die Gemeinde mit Pfarramt, Pfarrhaus und Schule: durch Wegzug ins damalige Neubaugebiet „Waldäcker Süd“. Mehrere Häuser beginnen zu verfallen oder werden ohne Beachtung des denkmalhistorischen Werts des Altorts umgestaltet. Das Hinterstädtel wird teilweise zum Armenhaus.
Im Heimatbrief 1970 wird die heutige Gestaltung der Ludwigstraße und Maximilianstraße begrüßt: „Die Ortsumgehung, unser Sorgenkind, macht nun auch gute Fortschritte. Die Bauarbeiten sind vergeben und werden im kommenden Frühjahr beginnen. Erfreulich ist, dass die alte Ortsdurchfahrt der B9 so schön ausgebaut wurde und mit Bürgersteigen rechts und links (wenn auch teilw. sehr schmalen) versehen wurde.“ Doch es bleibt der Durchgangsverkehr Richtung Nord-Westen und sogar ein Einbahnstraßenverkehr wird in Erwägung gezogen. „… da im engen Hinterstädtel eine Durchfahrt mit Gegenverkehr unmöglich gewesen wäre, war Vorsorge getroffen worden, über den „Roten Weg“ einen Einbahnverkehr einzurichten.“
Angeregt durch den Erfolg der 700-Jahrfeier 1965, beflügelt durch den Glanz der ersten Haueisen-Ausstellung im damals neuen Rathaus, entstand langsam ein Bewusstsein für die historische, romantische Besonderheit des Hinterstädtels. Mit tätiger Mithilfe des Denkmalamtes Mainz konnte das Kirchmer-Haus als Kunst- und Ausstellungshaus „Zehnthaus“ 1975 eröffnet werden. Mit den Hinterstädtelfesten ab 1978 wird Jockgrim weit im Land bekannt. In der Folge kamen nach und nach Neubürger vor allem aus Karlsruhe, die die alten Häuser im Einklang mit denkmalschützerischen Anforderungen sanierten. So wurde das historische Zentrum als „Markenkern“ Jockgrims vor weiterem Verfall bewahrt.
So romantisch die Lage auf dem hochgelegenen Hinterstädtel auch ist, mit Kindern rücken dann die Verkehrsprobleme wieder in den Vordergrund. Ab 1982 gab es in regelmäßigen Abständen Unterschriftenaktionen und Proteste für einen sicheren Schulweg der Kinder, für eine Verkehrsentlastung, Sperrung des Durchgangsverkehrs, Reduzierung des Verkehrslärms. Der Kirchelweg Richtung Schweinheimer Kirche wird damals als inoffizieller Bypass zur Umgehung des Hinterstädtels geöffnet.
Die Aufstellung eines Dorfentwicklungsplanes
Die Klagen der Bürgerinitiative „Verkehrsberuhigung Altort Jockgrim“ zeigen dann 1986 Wirkung. Landrat Stöckle lädt am 24.4.1986 zu einer großen Beratungsrunde in die Gemeindeverwaltung Jockgrim. Auch die Bürgerinitiative ist eingeladen. Die grundsätzliche Idee eines alternativen Ortsausganges über eine Ortsrandstraße wird geboren. Die Zuschussfinanzierung über das Dorfentwicklungsprogramm Rheinlandpfalz wäre dann möglich.
Ein Dorfentwicklungsplan für Jockgrim wird 1988 erstellt. Einleitend wird dort festgestellt: „Der Entwicklungsplan (hat) … nur informellen Charakter … ist aber Entscheidungshilfe für die konkrete Planung und ist die Voraussetzung für die Gewährung staatlicher Mittel aus dem Dorfentwicklungsprogramm für öffentliche und private Maßnahmen.“ Im Kapitel Bestandsaufnahme und Analyse heißt es hier für 1987:
„Bezogen auf den verkehrlich kritischsten Bereich der südlichen Ludwigstraße ergibt sich:
- Der Anteil des richtungsgebundenen Durchgangsverkehrs liegt zwischen 45% in der Morgenspitze und 60% in der Abendspitze.
- 3/4 des in der Ludwigstraße liegenden Durchgangsverkehrs (=1/3 des Gesamtverkehrsaufkommens) kommt aus oder fährt in Richtung Rheinzabern. Nur 1/4 des Durchgangsverkehrs (=10% des Gesamtaufkommens) bezieht sich auf die Fahrrichtung Hatzenbühl/Wörth.
- Die Spitzenbelastungen der für die Verkehrsmengen – auch vom Querschnitt her gesehen- absolut ungeeigneten südlichen Ludwigstraße bilden, neben den unzumutbaren Immissionsbeeinträchtigungen und den erheblichen Sicherheitsgefahren für Fußgänger (alle 5 Sek. 1 Auto), eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Existenzsicherung dieser Zone. Ähnliches gilt für den Bereich der südlichen Maximilianstraße.…
Eine Entlastung – insbesondere der südlichen Ludwigstraße – ist nur über Umverteilung im Bereich des Jockgrimer Quell- und Zielverkehrs, bzw. neue Trassenführungen zu den überörtlichen Verkehrswegen in Verbindung mit der Abminderung des Durchgangsverkehrsaufkommens möglich.“
Weiter werden in der Bestandsaufnahme des Dorfentwicklungsplanes Entwicklungsprognosen und Bewertungen möglicher Entlastungstrassen vorgenommen. Dazu heißt es für den Planungsfall 1 (Fertigstellung Ortsrandstraße Teil I):
„… dadurch wird eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens der Ludwigstraße zwischen 10% (ca 50 KFZ) in der Morgenspitze und 18% in der Mittagsspitze (ca 90 KFZ) erreicht werden. Eine weitere, allerdings geringfügige Entlastung, wird sich durch die teilweise Umorientierung von Jockgrimer Ziel- und Quellverkehren auf die neue Trasse ergeben. Der Durchgangsverkehr von und nach Richt. Rheinzabern wird nicht beeinflusst werden. Insgesamt kann von einer Reduzierung des Verkehrsaufkommens von 15- 25% ausgegangen werden.“
Für den Planungsfall 2 (Fertigstellung K10-Umgehung, Ortsrandstraße Teil I und II) werden die entlastenden Auswirkungen auf die Buchstraße beschrieben. Hinsichtlich Ludwigstraße und Maximilianstraße heißt es: Keine Auswirkung.
Der Planungsfall 3 ( Fertigstellung Ortsrandstraße I und II und Erstellung Wiesenweganbindung/B9) ergibt für die Ludwigstraße spürbare Auswirkungen:
„Der Wegfall des Rheinzabern/Wörth- orientierten Durchgangsverkehrs … erbringt Belastungsminderung in der Nachmittagsspitze … auf 270 KFZ/h.“
Die – teilweise – Umsetzung des Dorfentwicklungsplans
In der dann folgenden Zeit verfolgt der Gemeinderat Schritt für Schritt die Lösung der Jockgrimer Verkehrsprobleme entsprechend der Leitlinie des Dorfentwicklungsplan. Mit der Fertigstellung der K10-Umgehung, der Ortsrandstraße Teil I+II, ist der Planungsfall 2 im Jahr 2009 erreicht.
Die Auffahrt der Wiesenweg-Anbindung Rheinzaberns an die B9 wird durch den glücklichen Umstand des Polderbaus auf der Gemarkung der Verbandsgemeinde Jockgrim mit einem B9-Anschluss realisiert.
Die Ernüchterung 2011:
Für den Altort Jockgrim soll alles beim Alten bleiben
- Der Jockgrimer Gemeinderat beschließt 2011: Das Hinterstädtel soll weiterhin der einzige klassifizierte Zubringer nach Jockgrim bleiben. Eine Verlegung der L540 wird nicht betrieben. Gespräche mit Rheinzabern über eine gemeinsame Lösung der Problematik sind nicht vorgesehen.
- Der Rheinzaberner Gemeinderat belässt die Wiesenweganbindung praktisch unbenutzbar, weil die Zufahrt von Rheinzabern aus, der eigentliche „Wiesenweg“, eine Schotterpiste bleibt. Obwohl das Genehmigungsverfahren für den Wiesenweg nur an einem Formfehler scheiterte, wird eine Neuplanung nicht in Angriff genommen.